Atomkraft und Erdgas – plötzlich klimafreundlich?

Bei dieser Nachricht dürften so manche Vertreter einer grünen Energiewende ihren Ohren nicht getraut haben:

Die EU-Kommission hat vor wenigen Tagen Investitionen in neue Atom- und Gaskraftwerke als klimafreundlich eingestuft – allerdings nur, wenn bestimmte Auflagen erfüllt werden. In anderen Worten bedeutet das nichts anderes, als dass Atomkraft und Erdgas zukünftig als nachhaltig gelten würden, zumindest unter bestimmten Bedingungen. Ein entsprechender Rechtsakt wurde von der EU-Kommission angenommen.

Atomenergie und Erdgas mit grünem Stempel? Dies kann man ohne weiteres als echten Paradigmenwechsel ansehen.

Wie kam die EU zu dieser Einschätzung?

Hinter der neuen Einschätzung steht das erklärte Ziel der EU, bis zum Jahre 2050 klimaneutral zu werden. Laut der sog. Taxonomie der EU sollen Bürger und Investoren dazu gebracht werden, zum Erreichen dieser Vorgabe möglichst in klimafreundliche Technologien zu investieren – zu denen nun also auch Erdgas und (neue) Atomkraftwerke gehören würden.

Was bedeuten die Einstufungen der EU konkret?

Atomkraftwerke:

Zumindest neue Atomkraftwerke sollen bis 2045 als nachhaltig klassifiziert werden – allerdings nur, wenn ein konkreter Plan zur Endlagerung radioaktiver Abfälle ab spätestens 2050 vorliegt.

Gaskraftwerke:

Laut EU sollen Investitionen in neue Gaskraftwerke bis zum Jahr 2030 als nachhaltig gelten – allerdings nur, wenn sie bis 2035 ausschließlich mit klimaverträglicheren Gasen wie Wasserstoff betrieben werden. Die Einstufung gelte auch nur dann, wenn die neuen Gaskraftwerke schmutzige Kraftwerke ersetzen würden.

Mit diesem Beschluss werden die Auflagen für Gaskraftwerke allerdings letztlich sogar aufgeweicht – ursprünglich war nämlich eine Beimischung klimafreundlicher Gase bereits ab dem Jahr 2026 vorgesehen. Dies gibt Gaskraftwerken letztlich die Möglichkeit, noch länger höhere Anteile von umweltschädlichem Erdgas zu nutzen.

Kritik von vielen Seiten

Wie nicht anders zu erwarten, gab es an der Einschätzung der EU z.T. massive Kritik. Insbesondere Österreich und Luxemburg kündigten sogar an, gegen die Entscheidung klagen zu wollen.

Vor allem das BASE (Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung) betonte, dass Atomkraft eben auf keinen Fall nachhaltig sei. Laut BASE würde die EU-Kommission die Möglichkeit nuklearer Unfälle und Probleme bei der Entsorgung atomarer Abfälle viel zu sehr vernachlässigen. Deshalb warne man ausdrücklich, die Pläne in die Tat umzusetzen.

So ganz überzeugt von den eigenen Plänen scheint die EU Kommission übrigens selbst nicht zu sein. Überraschend ist, dass selbst die zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuiness verkündete, dass „der Rechtstext der Kommission vielleicht nicht perfekt“ sei, aber dennoch eine „echte Lösung“ biete, mit der die EU das Ziel, bis zum Jahre 2050 klimaneutral zu werden, erreichen könne. Sie schränkte dabei ein, dass Atomenergie und Gas zwar „an sich nicht grün seien, aber den Übergang zu erneuerbaren Energien ermöglichen würden“.

Was die deutsche Seite angeht muss man feststellen, dass Deutschland dem Einsatz von Gas als Brückentechnologie generell immer relativ offen gegenüberstand – übrigens im Gegensatz zu Schweden, Spanien, Dänemark und den Niederlanden, die eine Einstufung von Gas als nachhaltige Energiequelle ablehnen.

Atomkraft dagegen wurde von deutscher Seite in den letzten Jahren mehr oder weniger generell abgelehnt. Insbesondere die Grünen sprachen sich in der Ampel-Regierung vehement gegen die Taxonomie-Verordnung für Atomkraft aus.

Tatsächlich haben nicht nur Umweltschützer und Wissenschaftler auf die ungelösten Probleme bei radioaktiven Abfällen und die klimaschädlichen CO2 Emissionen bei der Nutzung von Gas hingewiesen, sondern auch EU Abgeordnete selbst.

Kann das Inkrafttreten der neuen Regeln noch verhindert werden?

Zumindest theoretisch wäre das bis 2023 möglich, allerdings gilt eine Ablehnung als äußerst unwahrscheinlich. Um das Inkrafttreten der Regeln zu verhindern, müssten nämlich ganze 20 der insgesamt 27 EU-Mitgliedstaaten dagegen stimmen. Auch mit einer absoluten Mehrheit im Europaparlament könnten die neuen Regeln noch gestoppt werden, aber auch dies gilt als ziemlich unrealistisch.

Über weitere Entwicklungen werden wir Sie auf dem Laufenden halten.

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